erschienen im Standard am 31.10.2015
http://derstandard.at/2000024805219/Ordnung-in-und-nach-dem-Leben
Über Friedhöfe, Grabsteine und Inschriften: Was uns die Titel der Toten lehren können
Friedhofsgärtner ist auch ein schöner Beruf. Wenig Stress und viel frische Luft. Das erhöht die Lebenserwartung.“ Mit diesen Worten spornte unser Vater seine Söhne bei mäßigen Schulnoten zu besseren Leistungen an. Ob das Bestehen der Matura auf diese Motivation zurückzuführen ist, muss dahingestellt bleiben. Ebenso wie die Frage, ob dieser Satz bei mir das Vergnügen an Friedhofsspaziergängen begründet hat. Fest steht, dass die ehedem vergoldeten Inschriften auf verwitterten Grabsteinen schon früh mein Interesse weckten. Und zwar umso mehr, je umfangreicher sie das Leben der Verstorbenen dokumentierten. Besonders die Berufsbezeichnungen und Amtstitel der Toten drängten zunehmend in den Fokus meiner Aufmerksamkeit.
Die Mitarbeiter österreichischer Eisenbahngesellschaften waren schon immer für ausgefallene Namensbeifügungen gut. Auf dem Maurer Friedhof findet man beispielsweise das Grab eines Südbahndirektors. Einer seiner Kollegen ließ sich attestieren, dass er Direktor der Staatseisenbahngesellschaft war, und ein k. k. Oberbergrat verdiente seinen Lebensunterhalt als Zentralinspektor der k. k. priv. Kaiser Ferdinand Nordbahn. Weiters findet man einen Zentralinspektor der Südbahn und einen Oberinspektor der Nordwestbahn. Auf dem Friedhof von Gersthof dokumentiert das Grab eines Oberinspektors der ÖBB, dass selbst der Untergang der Monarchie nichts an der Unvergänglichkeit der Bahnhierarchie zu ändern vermochte. In Tamsweg habe ich einen seltenen Vertreter der Riege der Bahnmeister entdeckt. Herr Berbalk war zwar nicht Eisenbahner, aber Ober-Inspektor der städtischen Straßenbahnen und Betriebsleiter der städtischen Kraftstellwagenunternehmung. Ferdinand Dungl (Hernalser Friedhof) zeichnete als Oberwerkmeister der Städtischen Straßenbahn für Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten am rollenden Material verantwortlich. Unweit von ihm liegt ein Schaffner der Städtischen Straßenbahn begraben, der, lange bevor die Wiener Straßenbahnen schaffnerlos wurden, verstarb.
Ministerium der anderen Seite
Ordnung in und nach dem Leben
31. Oktober 2015, 09:00
Über Friedhöfe, Grabsteine und Inschriften: Was uns die Titel der Toten lehren können
Friedhofsgärtner ist auch ein schöner Beruf. Wenig Stress und viel frische Luft. Das erhöht die Lebenserwartung.“ Mit diesen Worten spornte unser Vater seine Söhne bei mäßigen Schulnoten zu besseren Leistungen an. Ob das Bestehen der Matura auf diese Motivation zurückzuführen ist, muss dahingestellt bleiben. Ebenso wie die Frage, ob dieser Satz bei mir das Vergnügen an Friedhofsspaziergängen begründet hat. Fest steht, dass die ehedem vergoldeten Inschriften auf verwitterten Grabsteinen schon früh mein Interesse weckten. Und zwar umso mehr, je umfangreicher sie das Leben der Verstorbenen dokumentierten. Besonders die Berufsbezeichnungen und Amtstitel der Toten drängten zunehmend in den Fokus meiner Aufmerksamkeit.
Die Mitarbeiter österreichischer Eisenbahngesellschaften waren schon immer für ausgefallene Namensbeifügungen gut. Auf dem Maurer Friedhof findet man beispielsweise das Grab eines Südbahndirektors. Einer seiner Kollegen ließ sich attestieren, dass er Direktor der Staatseisenbahngesellschaft war, und ein k. k. Oberbergrat verdiente seinen Lebensunterhalt als Zentralinspektor der k. k. priv. Kaiser Ferdinand Nordbahn. Weiters findet man einen Zentralinspektor der Südbahn und einen Oberinspektor der Nordwestbahn. Auf dem Friedhof von Gersthof dokumentiert das Grab eines Oberinspektors der ÖBB, dass selbst der Untergang der Monarchie nichts an der Unvergänglichkeit der Bahnhierarchie zu ändern vermochte. In Tamsweg habe ich einen seltenen Vertreter der Riege der Bahnmeister entdeckt. Herr Berbalk war zwar nicht Eisenbahner, aber Ober-Inspektor der städtischen Straßenbahnen und Betriebsleiter der städtischen Kraftstellwagenunternehmung. Ferdinand Dungl (Hernalser Friedhof) zeichnete als Oberwerkmeister der Städtischen Straßenbahn für Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten am rollenden Material verantwortlich. Unweit von ihm liegt ein Schaffner der Städtischen Straßenbahn begraben, der, lange bevor die Wiener Straßenbahnen schaffnerlos wurden, verstarb.
Ministerium der anderen Seite
In Zwentendorf habe ich das Grab eines Brückenmeisters gefunden, das die Vermutung nahelegt, dass es auch Brückenlehrlinge und Brückengesellen geben muss. Für den Bau und den Erhalt von Straßen waren der Straßenmeistereiangestellte Florian Fink und der Oberstraßenwärter Fritz Maier, beide aus Mondsee, zuständig. Einer ihrer Vorgänger in dem nachrangigen Straßennetz war ein Wegmeister, der zu Ende des 19. Jahrhunderts in der Stadt Salzburg gelebt hat.
Johann Deimel dürfte das Baugewerbe von der Pike auf gelernt haben. Das legt die Inschrift auf seinem Grabstein nahe, die ihn als Stadtmaurermeister und Architekt ausweist. Noch erfolgreicher war Johann Pflaum. Er wird auf dem Stein der Familiengruft als bürgerlicher Stadtbaumeister, beeideter Schätzmeister und Realitätenbesitzer tituliert. Nicht ganz so weit auf der Karriereleiter hat es der Bürger und Stadtspflasterer-Meister Johann Brunner geschafft. Der k. k. Landbaumeister Schwab, für dessen Familie am Salzburger Sebastiansfriedhof eine Gedenktafel angebracht wurde, war Vorsitzender der Landesbaubehörde.
Ordnung in und nach dem Leben
31. Oktober 2015, 09:00
Über Friedhöfe, Grabsteine und Inschriften: Was uns die Titel der Toten lehren können
Friedhofsgärtner ist auch ein schöner Beruf. Wenig Stress und viel frische Luft. Das erhöht die Lebenserwartung.“ Mit diesen Worten spornte unser Vater seine Söhne bei mäßigen Schulnoten zu besseren Leistungen an. Ob das Bestehen der Matura auf diese Motivation zurückzuführen ist, muss dahingestellt bleiben. Ebenso wie die Frage, ob dieser Satz bei mir das Vergnügen an Friedhofsspaziergängen begründet hat. Fest steht, dass die ehedem vergoldeten Inschriften auf verwitterten Grabsteinen schon früh mein Interesse weckten. Und zwar umso mehr, je umfangreicher sie das Leben der Verstorbenen dokumentierten. Besonders die Berufsbezeichnungen und Amtstitel der Toten drängten zunehmend in den Fokus meiner Aufmerksamkeit.
Die Mitarbeiter österreichischer Eisenbahngesellschaften waren schon immer für ausgefallene Namensbeifügungen gut. Auf dem Maurer Friedhof findet man beispielsweise das Grab eines Südbahndirektors. Einer seiner Kollegen ließ sich attestieren, dass er Direktor der Staatseisenbahngesellschaft war, und ein k. k. Oberbergrat verdiente seinen Lebensunterhalt als Zentralinspektor der k. k. priv. Kaiser Ferdinand Nordbahn. Weiters findet man einen Zentralinspektor der Südbahn und einen Oberinspektor der Nordwestbahn. Auf dem Friedhof von Gersthof dokumentiert das Grab eines Oberinspektors der ÖBB, dass selbst der Untergang der Monarchie nichts an der Unvergänglichkeit der Bahnhierarchie zu ändern vermochte. In Tamsweg habe ich einen seltenen Vertreter der Riege der Bahnmeister entdeckt. Herr Berbalk war zwar nicht Eisenbahner, aber Ober-Inspektor der städtischen Straßenbahnen und Betriebsleiter der städtischen Kraftstellwagenunternehmung. Ferdinand Dungl (Hernalser Friedhof) zeichnete als Oberwerkmeister der Städtischen Straßenbahn für Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten am rollenden Material verantwortlich. Unweit von ihm liegt ein Schaffner der Städtischen Straßenbahn begraben, der, lange bevor die Wiener Straßenbahnen schaffnerlos wurden, verstarb.
Ministerium der anderen Seite
In Zwentendorf habe ich das Grab eines Brückenmeisters gefunden, das die Vermutung nahelegt, dass es auch Brückenlehrlinge und Brückengesellen geben muss. Für den Bau und den Erhalt von Straßen waren der Straßenmeistereiangestellte Florian Fink und der Oberstraßenwärter Fritz Maier, beide aus Mondsee, zuständig. Einer ihrer Vorgänger in dem nachrangigen Straßennetz war ein Wegmeister, der zu Ende des 19. Jahrhunderts in der Stadt Salzburg gelebt hat.
Johann Deimel dürfte das Baugewerbe von der Pike auf gelernt haben. Das legt die Inschrift auf seinem Grabstein nahe, die ihn als Stadtmaurermeister und Architekt ausweist. Noch erfolgreicher war Johann Pflaum. Er wird auf dem Stein der Familiengruft als bürgerlicher Stadtbaumeister, beeideter Schätzmeister und Realitätenbesitzer tituliert. Nicht ganz so weit auf der Karriereleiter hat es der Bürger und Stadtspflasterer-Meister Johann Brunner geschafft. Der k. k. Landbaumeister Schwab, für dessen Familie am Salzburger Sebastiansfriedhof eine Gedenktafel angebracht wurde, war Vorsitzender der Landesbaubehörde.
Als von der Bürokratie regelmäßig gedemütigter Österreicher glaubt man gemeinhin, kaum noch Überraschungen erleben zu können. Wandert man offenen Auges über Friedhöfe und liest wachen Geistes die E-Mails der Justiz, wird man eines Besseren belehrt. Im Folgenden einige Gustostückerln an Amtstiteln, zusammengefasst zu einem fiktiven „Ministerium der anderen Seite“: Repräsentant der höchsten Beamtenebene dieser erdachten Behörde könnte ein k. k. Generalchefauditor und Sektionschef im Reichskriegsministerium sein. Ihm zur Seite stünde der Bürochef d. Imp. C.G.A. Der Kanzleidirektor wäre stets „mit Arbeit überhäuft“, was durch die Einstellung des Kanzlei Vice Direktors des Wiener Magistrates abgemildert werden könnte.
Den Wunsch, mittels Mitteilung des eigenen Berufs oder Titels über den Tod hinaus einzigartig zu bleiben, lediglich als Ausdruck des bürgerlichen Selbstbewusstseins zu deuten griffe zu kurz. Vielmehr steht die Einordnung in eine gesellschaftliche Hierarchie auch für ein Empfinden dafür, dass Ordnung im (und nach dem) Leben jene Kraft symbolisiert, die entsprechend dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik in der Lage ist, der totalen Unordnung, die der Tod bedeutet, entgegenzuwirken. Einen beeindruckenden literarischen Beleg für dieses Bestreben lieferte Heimito von Doderer in dem Roman Die Dämonen, in dem eine junge Frau jene Notiz, auf der sie der Nachwelt ihren Mörder nennt, mit den Worten „Martha Plankl, Prostituierte“ unterzeichnet.
Vielleicht bewirkt das Wissen um Zusammenhänge, das uns die Titel der Toten lehren können, beim jährlichen Friedhofspflichtbesuch einen Perspektivenwechsel. Der Trend zur Beschränkung auf die Nennung von Namen und Lebensdaten auf den Grabsteinen wird in diesem Licht zum Zeichen zunehmender Entropie; jener zur Feuerbestattung zum Beginn des Endes der österreichischen Begräbniskultur. Der Fund des auf dem St. Marxer Friedhof versteckten Grabes des im Jahr 1865 84-jährig verstorbenen bürgerlichen Lust- und Ziergärtners wurde für mich indes zum Beweis der Richtigkeit des väterlichen Diktums.